Da Vincis splitternackte Wahrheit
Die Verfilmung von
«Sakrileg» ist theologisch schwach und historisch
inkorrekt. Aber immerhin gibt es nackte
Opus-Dei-Männer zu sehen, die sich geißeln.
Von Ulrich Gutmair
Jesusmariaundjosef,
so viel Lärm um nichts! Die Verfilmung von Dan
Browns «The Da Vinci Code», auf Deutsch
ausnahmsweise ganz intelligent mit «Sakrileg»
übersetzt, kommt nach einer ungeheuer effizient
orchestrierten PR-Kampagne in die Kinos und entpuppt
sich als ungeheuer biederes Esoterikthrillerchen. Es
ist zwar kaum verwunderlich, dass dem so ist – es
hat ja niemand ernsthaft anderes erwartet.
Angesichts des medialen Brimboriums seit einigen
Monaten ist das für den Zuschauer aber dennoch umso
ärgerlicher.
Das ist die
Geschichte in Kürze: Louvre-Direktor Jacques
Saunière wird eines Nachts von einem
kapuzentragenden, sich dauernd selbst geißelnden
Opus-Dei-Mann in den Hallen des Museums angeschossen
und tödlich getroffen. Doch kurz vor seinem Tod
gelingt es ihm noch, mit gehörigem Aufwand seine
eigene Leiche ins Zentrum eines von Anagrammen
umgebenen Bilderrätsels zu rücken, zu dessen
Entzifferung der «Symbologe» Robert Langdon (Tom
Hanks) nun scheinbar gerufen wird. Er empfiehlt sich
als solcher, weil er dem Zuschauer vorher unter
anderem die verblüffende Erkenntnis nahe gebracht
hat, dass es sich bei der Swastika keineswegs um ein
modernes, sondern um ein sehr, sehr altes Symbol
handelt. Oho!
Kommissar Fache
(Jean Reno), seinerseits Opus-Dei-Mitglied, ist
längst davon überzeugt, dass Langdon selbst der
Mörder ist, was diesem wiederum von Saunières
Enkelin Sophie (Audrey Tautou) klargemacht wird, die
ihm auch gleich zur Flucht verhilft. Hier beginnt
eine Verfolgungsjagd, die dafür verantwortlich ist,
dass dieser Film immerhin als halbwegs spannend
bezeichnet werden kann. Seine Geschichte ist das nur
insofern, als man doch ganz gerne herausfinden
möchte, was aus den Nachfahren des Jesus von
Nazareth eigentlich geworden ist.
Denn die Frage, die das von Opa Saunière aufgegebene
Rätsel aufwirft, lautet natürlich: Warum ist er
eigentlich umgebracht worden? Es stellt sich bald
heraus, dass Saunière der Bruderschaft vom Berg Zion
angehört hat. In der deutschen Übersetzung von
Browns Buch ist aber stets nur von der «Prieuré de
Sion» die Rede, und weil die deutschen Untertitler
offensichtlich weder vom Berg, noch von der Tochter
Zion je was gehört haben, liest man nun ständig von
«Sion». (Es steht zu befürchten, dass die
Synchronisation nicht viel besser ausfällt, aber
auch das war ja noch nie anders.)
Die Bruderschaft,
so lernen wir bald, hütet ein wahrhaft
revolutionäres Geheimnis «von solcher Brisanz, dass
die Enthüllung das Christentum seiner gesamten
Grundlage beraubt hätte!», wie es im Buch so schön
heißt. Was das wohl sein mag?
Es besteht darin,
dass Jesus mit Maria Magdalena verheiratet war, die
von ihm schwanger wird und nach seinem Tode nach
Frankreich flieht, wo sie eine königliche Dynastie
begründet, von der allerdings nur die Brüder vom
Zionsberg wissen, dass es sich dabei um Nachkommen
Jesu handelt. Der legendäre Heilige Gral bezeichnet
wiederum nichts anderes als das symbolische Gefäß,
das für das Prinzip des Weiblichen schlechthin, aber
eben auch die Tatsache steht, dass Jesus Nachkommen
gezeugt hat, die immer noch unter uns sind. Dass die
süße Sophie am Ende wahrscheinlich die letzte
Urenkelin Jesu sein wird, kann man sich bereits nach
einer halben Stunde denken, auch ohne das Buch
Browns je in der Hand gehabt zu haben.
Warum ist das jetzt alles aber so unglaublich
gefährlich für die herrschende Macht, die nun
mordet, um die Brüder vom Zionsberge zum Schweigen
zu bringen, und die den ultimativen Beweis ihrer
Geheimlehre, die Gebeine der Maria Magdalena,
verschwinden lassen will? Letztendlich ist diese
Geschichte nichts als ein halbgarer Aufwasch von
Umberto Ecos ebenfalls verfilmtem Roman «Der Name
der Rose», der sich ungleich intelligenter und
informierter des Themas des verbotenen und
unterdrückten Wissens annahm, das dem kirchlichen
Dogma einst tatsächlich gefährlich werden konnte.
Die innere Logik
von «Da Vinci Code» geht überhaupt nur auf, wenn wir
die westliche Welt als Theokratie begreifen, in der
«Despoten» in Priestergewändern, so die
Sprachregelung des Films, ihre Version des
Christentums auf Teufel komm raus verteidigen, um
ihre Macht zu sichern. Natürlich gab es eine solche
Theokratie im Westen ohnehin im eigentlichen Sinne
nie, weil die Kirche die weltliche Macht brauchte,
um ihre Stellung zu sichern, und die weltliche Macht
die Kirche als Ideologiefabrik benötigte, um ihr Tun
und Lassen rechtfertigen zu können.
Es wird schon keiner
merken
Dass außerdem der Unterschied zwischen der
katholischen Kirche und sagen wir mal den iranischen
Ajatollahs und afghanischen Taliban gerade darin
besteht, dass jene dank Humanismus, Wissenschaft und
Französischer Revolution der säkularisierten
Gesellschaft seit geraumer Zeit rein gar nichts mehr
zu sagen hat, interessiert Brown natürlich auch
nicht. Es wird schon keiner merken, und die Kirche
hat ohnehin einen derart schlechten Ruf, dass es
auch keiner merken will.
Sähe man sich aber
mal die Geschichte der Kreuzzüge, vor allem der
späteren, einmal näher an, würde man feststellen,
dass es häufig Bischöfe waren, die die in
christlichen Städten ansässigen Juden vor den
militanten Kreuzzüglern zu schützen versuchten. Denn
schon der von millenaristischen Visionen
aufgepeitschte Mob betrachtete wie die
Verschwörungstheoriker von heute die Kirche gern als
Bastion des Antichristen und verklärte stattdessen
irgendwelche Wanderprediger zu Kündern des nahenden
Reichs Gottes auf Erden. Dieses Nahen trachtete man
dann zu beschleunigen, indem man schon vor der
Abreise ins Heilige Land ein paar ungläubige
Gottesmörder in Worms und Trier abschlachtete, bevor
man den Muselmännern in der Fremde den Garaus machen
würde.
Keinen Schimmer von
Nicäa
Kein Wunder also, dass der Film noch nicht einmal
den leisesten Versuch unternimmt, auch nur im Ansatz
zu erklären, wer diese «Despoten» eigentlich sind,
worüber sie despotisch herrschen und worin also
überhaupt ihr Interesse liegt, die Wahrheit nicht
ans Licht kommen zu lassen, abgesehen von ihrer
Herrschaft über ein paar tausend ultraorthodoxe
Anhänger des Opus Dei? (Die Idee, dass diese ebenso
ultrakeuschen Leute, das nur nebenbei bemerkt, sich
nachts splitternackt vor Kruzifixen geißeln könnten,
wie im Film gezeigt, ist natürlich nur ein feuchter
Traum von Säkularen und prüden Protestanten.)
In Browns Buch wird
das folgendermaßen «erklärt». Bis zum Konzil von
Nicäa hätten die Anhänger Jesu diesen als
«sterblichen Propheten» betrachtet, als «großen und
mächtigen», aber eben doch als sterblichen Menschen.
Die Abstimmung auf dem Konzil sei laut Brown nur
äußerst knapp zugunsten der Auffassung ausgefallen,
dass Jesus der Sohn Gottes sei. Das ist in
mehrfacher Hinsicht ungenau oder gar falsch, weil es
im arianischen Streit, der wichtigster Anlass des
Konzils war, präzise erstens um die Wesenseinheit
und Wesengleichheit von Gott und Jesus ging.
Zweitens stimmten lediglich zwei Bischöfe am Ende
gegen das in Nicäa fixierte Glaubensbekenntnis. Aber
so genau wollen wir das nicht nehmen, was sind
theologische und historische Korrektheit in
Anbetracht von Bestsellern und Blockbustern.
Die weltlichen
Machenschaften mal wieder
Diese windige Erklärung ist nun also die eigentliche
Ursache, mit der Brown das hektische Treiben der
«Despoten» plausibel machen will, die eine verlorene
Seele zum Mörder an den Seneschallen der
Bruderschaft vom Berg Zion machen: «Im Grunde ging
es nur um die Macht», heißt es dazu im Buch.
«Christus weiterhin als Messias gelten zu lassen,
war für Kirche und Staat zu bedenklich. Viele Kenner
dieser Materie sind der Ansicht, dass die angehende
römisch-katholische Staatskirche den Urchristen
Jesus gleichsam geraubt hat, indem sie über seine
diesseitige Botschaft der Nächstenliebe und
Menschlichkeit den undurchdringlichen Mantel einer
jenseitigen Göttlichkeit breitete, um auf diese
Weise ungestört ihren weltlichen Machenschaften
nachgehen zu können.»
Da mag generell ja
ein Funken Wahrheit dran sein. Wenn aber
irgendjemand für sich in Anspruch nehmen kann, als
erster den Urchristen Jesus geraubt zu haben, dann
heißt der Mann wohl Paulus. Er brauchte im Übrigen
auch kein Konzil, sondern nur ein paar rhetorisch
brillant formulierte Briefe, um aus Rabbi Jesus
endgültig den Auferstandenen zu machen und damit das
Christentum überhaupt erst als solches in Gang zu
setzen.
Sei's drum, die Frage nach der Macht und den Dogmen
der Kirche lässt die Brown-Verfilmung am Ende
sowieso nonchalant unter den Tisch fallen: Denn
interessanterweise ist der eigentliche Anstifter der
Morde am Ende nicht etwa einer der ominösen
Despoten, sondern ein Freigeist, der die Welt
endlich von der Irrlehre der Kirche befreien will
und die Orthodoxen nur benutzt, um der Bruderschaft
mit Gewalt ihr Geheimnis zu entreißen.
Das ist natürlich
eine ganz interessante Wendung, weil sie letzten
Endes nichts anderes behauptet, als dass die
Revolution ohne Terreur nicht auskommt und
die Jakobiner aller Zeiten ergo nicht weniger
schlimm als Theokraten und Faschisten seien. Oh
schöne neue Welt des Hippieliberalismus! «Es kommt
nur darauf an, was du selbst glaubst», spricht
Langdon nun zu seiner Sophie bedeutungsschwanger,
als wäre das irgendetwas radikal anderes als die
Wahl zwischen Pepsi und Coke.
Das
große Geheimnis, die Wahrheit, die Produktionen wie
«The Da Vinci Code» in Wirklichkeit mit aller Macht
selbst verschleiern wollen, ist natürlich eine ganz
andere. Sie besteht darin, dass wir Hollywood und
seine Moralapostel, Welterklärer und Ideologen
eigentlich längst nicht mehr brauchen, die meisten
haben es nur noch nicht gemerkt.
Wir haben jetzt
nämlich Camcorder und das Internet, das gerade im
letzten halben Jahr eine ungeheure Explosion erlebt
hat, da stellen wir unsere eigenen Filme rein. Damit
aber keinem auffällt, dass dieser ganze uralte
Apparat eigentlich schon längst überflüssig geworden
ist, muss nun so getan werden, als sei ein B-Movie
wie «The Da Vinci Code» eine tatsächlich wertvolle
Ware, die unter allen Umständen davor geschützt
werden muss, im Kino mit dem Handy abgeknipst zu
werden.
Um das zu
demonstrieren und den Schwindel aufrecht zu
erhalten, behandelt man die selben Journalisten, die
man vorher für seine Non-Stop-Kampagne eingespannt
hatte, die aus dem Film überhaupt erst das
unglaublich wichtige Ereignis werden ließ, bei der
Pressevorführung wie Verbrecher und schäbiges
Gesindel. Sie sollen Ehrfurcht verspüren vor dem
großen Ding. Man lässt sie also wie Zirkustiere
durch Metalldetektoren laufen und dreist von
Security-Personal betatschen. Das wahre Opus Dei,
das ist sicher und gewiss, heißt Buena Vista
International.
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